Urteilstenor Gericht und Aktenzeichen
Unfallersatztarif ist Normaltarif. Keine Verpflichtung zu betriebswirtschaftlicher Notwendigkeit. (AZ:12 C 3362/04)

Amtsgericht Würzburg

 

12 C 3362/04                                                                          Verkündet am: 29.6.2005

                                                                                                H..............., JAng, als

                                                                                                Urkundsbeamt. D. Geschäftsst.

 

                                 Im Namen des Volkes

 

In dem Rechtsstreit

 

 

                                                        -Kläger-

 

Prozessbevollmächtigte:   Rechtsanwälte ……………………

 

 

                                                          Gegen

 

 

 

                                                          -Beklagte-

 

 

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte …………………..

 

 

                                 wegen Schadenersatz

 

 

Erlässt das Amtsgericht Würzburg durch Richter am Amtsgericht Klatt aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29.6.2005 folgendes

 

 

                                               End – Urteil

 

 

I.                    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.340,77 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %- Punkten über dem Basiszinssatz seit 23.02.2004 zu zahlen.

 

II.                 Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

 

III.               Das Urteil ist nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe des 1,2-fachen des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

 

 

 

 

 

                                                      -2-

 

                                              Tatbestand:

 

Die Parteien streiten um restlichen Schadenersatz aus einem Verkehrsunfall (Mietwagenkosten) bei unstreitiger Eintrittspflicht der Beklagten dem Grunde nach.

 

Auf die geltend gemachten Mietwagenkosten (hierbei sind 10 % ersparte Eigenaufwendungen berücksichtigt) hat die Beklagte nur einen Teilbetrag gezahlt mit der Begründung, grundsätzlich sei der Unfallersatztarif nicht gleichzusetzen mit den erforderlichen Kosten der Schadensbeseitigung. So habe ein Prof. Albrecht in einer Analyse über marktgerechte Preise im Unfallersatzwagengeschäft der Universität Mannheim ermittelt, dass die Tarife im Unfallersatzgeschäft aufgrund der bestehenden Kostendifferenzen sogar günstiger sein müssten, als der Durchschnitt der Tarife im normalen Flottengeschäft.

 

Der Kläger beantragt,

 

die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 1.340,77 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 23.02.04 zu verurteilen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

            die Klage abzuweisen.

 

Es wurde Beweis erhoben durch Erholung eines Gutachtens des Sachverständigen Brod. Auf das Gutachten vom 22.06.05 sowie die mündliche Erläuterung im Termin vom 29.06.05 wird Bezug genommen.

 

 

                                                Entscheidungsgründe:

 

 

Die zulässige Klage ist begründet (§ 249 BGB).

 

Die Mietwagenkosten gehören zu den notwendigen Kosten der Wiederherstellung

(BGH  NJW 74, 34).

 

Der Geschädigte muss vor Anmietung keine Marktforschung betreiben; nur dann, wenn für ihn ohne weiteres erkennbar ist, dass das von ihm ausgewählte Unternehmen Mietwagensätze verlangt, die außerhalb des Üblichen liegen, darf er einen Mietvertrag zu solchen Bedingungen nicht auf Kosten des Schädigers abschließen (BGH  Z 132, 373).

 

Diese Voraussetzungen sind schon gegeben, wenn durch Einholung von ein oder zwei Konkurrenzangeboten hätte festgestellt werden können, dass deutlich aus dem Rahmen fallende günstigere Angebote am Markt vorhanden sind. Was im Rahmen des Zumutbaren liegt, das hat der Geschädigte darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen (so schon OLG Stuttgart 7 U 296/93).

 

Bei der Beurteilung ist aber (BGH  NJW 85, 2638) der Standpunkt „ex ante“ zu wählen, d.h. die Situation eines Geschädigten, dem die Kartellbildung der Mietwagenunternehmen,

-sollte es sie geben-, nicht bekannt gewesen sein konnte.

                                                                     -3-

 

Dabei muss sich der Geschädigte grundsätzlich nicht nach Sonder- oder Pauschalkonditionen erkundigen (vgl. Greger NZV 94, 13 m.w.N.).

 

Der Bundesgerichtshof hat in den Entscheidungen VI ZR 177/84 und VI ZR 86/84 dabei darauf hingewiesen, dass längere Mietzeiten (vorhersehbar) eine gesteigerte Erkundigungspflicht fordern, eine derartige Vorhersehbarkeit bei 34 Tagen bzw. 26 Tagen aber nicht gesehen.

 

Dieser Rechtsprechung ist der BGH dann gefolgt in der Entscheidung VI ZR 138/95.

 

Die Rechtsprechung im Bereich des „Unfallersatztarifes“ ist dann erneut in Bewegung gekommen durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in VI ZR 74/04.

 

Das Gericht hatte hier auf den Grundsatz der „Erforderlichkeit“ hingewiesen. Danach muss der Geschädigte in Verfolgung des Restitutionsgedankens im Rahmen des ihm Zumutbaren alles unternehmen, um den Schaden gering zu halten, wie es jeder vernünftige Mensch dann täte, wenn er das Wirtschaftlichkeitsgebot beachtet.

 

Richtig ist aber (BGH Z 132, 373 ff.), dass der Geschädigte nicht deshalb gegen seine Pflicht zur Schadensgeringhaltung verstößt, weil er ein Kraftfahrzeug zu einem „Unfallersatztarif“ anmietet, der gegenüber einem „Normaltarif“ teurer ist, solange dies dem Geschädigten nicht ohne weiteres erkennbar ist.

 

In der Entscheidung VI ZR 74/04 hat das Gericht dann den Restitutionsgedanken auch dahin eingeschränkt, dass der „erforderliche Aufwand“ zur Schadensbeseitigung nur dann die Inanspruchnahme des „Unfallersatztarifs“ rechtfertigte, wenn die Unfallsituation aus der konkreten Situation des Geschädigten bei vernünftiger Beurteilung die Inanspruchnahme des „Normaltarifs“ nicht erlaube.

 

Der hier – „obiter dictum“ – erfolgte Hinweis auf den „Preis aus betriebswirtschaftlicher Sicht“ hat dann zu der schon angedeuteten Bewegung im Prozessgeschehen geführt.

 

Zunächst einmal ist dieses Gericht der Auffassung, dass die „betriebswirtschaftliche Sicht“ des Unternehmers (ist er nicht selbst der Kläger aus abgetretenem Recht) zu beurteilen nicht Aufgabe der Gerichte ist. Es ist völlig unstreitig, dass der Mietwagenmarkt von höchst unterschiedlichen Preisbildungen bestimmt ist.

 

Es dürfte aber auch unstreitig sein, dass ein Preisdirigismus einzuführen nicht Aufgabe der Justiz ist. In Konsequenz würde dies dazu führen, dass der Geschädigte einer Schlägerei bei Anschaffung der geschädigten Ersatzbrille darlegen und beweisen muss, dass der Brillenpreis aus Betriebswirtschaftlicher Sicht bei seinem Anbieter günstiger gestaltet werden könnte als der bei der Filialkette F.. In gleicher Weise wäre dieser Geschädigte, sollten ihm schuldhaft rechtswidrig dieser oder jener Zahn abhanden gekommen sein, gezwungen darzulegen und zu beweisen, dass die Restaurierung durch den Zahnarzt X aus betriebswirtschaftlicher Sicht günstiger hätte erfolgen können, nähme man im Vergleichsmaßstab die Wirtschaftlichkeitsberechnung des Zahnarztes Y zum Anlass, an der „Erforderlichkeit“ zu zweifeln.

 

 

                                                              -4-

 

Diese Beweisführung ist dem Geschädigten grundsätzlich nicht möglich. Im übrigen steht es in einem freien Land jedem Unternehmer zu seine Preise so zu kalkulieren, dass er einerseits marktfähig bleibt, andererseits auch überleben kann.

 

Dem Geschädigten (wenn nicht klagender Vermieter aus abgetretenem Recht) ist es unmöglich den Beweis zu führen, die ihm von dem Mietwagenunternehmen berechneten Preise seien betriebswirtschaftlich erforderlich.

 

Praktisch setzt eine solche Beweisführung zweierlei voraus:

 

  1. Der Mietwagenunternehmer müsste - nach entsprechendem Beweisantrag – seine                                  Kostenkalkulation für den Prozess öffentlich und somit für die Allgemeinheit darlegen.

Jeder Konkurrent könnte sich somit Einblick verschaffen und Konsequenzen für die eigene Preisgestaltung ziehen und sei es nur bis zur erfolgreichen Verdrängung eines kleineren Mietbewerbers.

 

Eine derartige Verpflichtung greift unverhältnismäßig in das Recht des Unternehmers an dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ein. Dies wäre mit Artikel 14 GG nicht vereinbar. Einem solchen Verstoß wird sich dieses Gericht enthalten.

 

  1. Die Beweisführung setzt eine umfangreiche betriebswirtschaftliche Begutachtung                                     voraus mit völlig unverhältnismäßigen Kosten.

 

Diese Kosten muss im Ergebnis jemand tragen, zumindest der Geschädigte ist vorschusspflichtig. Ein fähiger Gutachter wird ein derartiges Gutachten nicht zu den gesetzlichen Stundensätzen erstatten. Hier müssten weit höhere Stundensätze unter den Parteien vereinbart werden.

 

Gleich ob Rechtschutz oder nicht: die Waage der versuchten Gerechtigkeit würde sich zweifellos zu Gunsten des längeren, wirtschaftlichen Armes in Verteidigungsposition aus dem Gleichgewicht bewegen.

 

Der einfache Hinweis, das Gericht könne sich dazu eines Gutachtens bedienen (so die letzte zitierte Entscheidung des BGH), muss schon unter dem Aspekt des Zivilprozesses gesehen werden. Auch hier fallen Kosten in enormer Höhe an, dies ist jedenfalls die Erfahrung des Gerichtes im Prozess um den entgangenen Gewinn bei Gewerbebetrieb.

           

Ein weiteres Prozessfeld mit deutlicher Förderung der Geldverteilung wäre eröffnet.

 

Es ist nicht Aufgabe des Zivilprozesses, mögliche Kartellbildungen aufzudecken oder aber Unzulänglichkeiten der Preisauszeichnungsverordnung zu korrigieren.

 

Darauf kommt es aber nicht an.

 

 

 

 

                                                                   -5-

 

Diese Begriffsverwirrung im Mietwagengeschäft beruht darauf, dass eine Unterscheidung getroffen wird zwischen „Unfallersatztarif“ und „Normaltarif“. Hentschel (§ 12 StVG Anm. 35) hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es sich bei diesem „Normaltarif“ um Sondertarife handelt. So hat das Gericht auch in einem Sonderdezernat für Verkehrssachen noch in keinem einzigen Verfahren – es sind Hunderte – eine substantiierte Klageerwiderung genießen können, in dem der „Normaltarif“ definiert wird.

 

Dieser „Normaltarif“ existiert nämlich nur in Form des sog. Unfallersatztarifes. Dies ist der Grundtarif. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Sondertarife, die sich erheblich in der Ausgestaltung nach Fahrzeugtyp, Zeit, Marktlage und Bestimmtheit der Anmietzeit unterscheiden.

 

Auf das den Parteien bekannte Gutachten sowie die Erläuterungen des Sachverständigen hierzu wird Bezug genommen. Dass die Prognose zur Reparaturdauer äußerst ungewiss ist, dies ist sicher nicht weiter zu erläutern.

 

In diesem Zusammenhang ergibt sich das weitere Problem der Überschaubarkeit des Mietwagenmarktes für den Geschädigten.

 

Hierauf hat bereits Rixecker (NZV 91, 369 ff.) hingewiesen.

 

Der lange Jahre in diesem Gerichtsbezirk tätige Sachverständige B……. hat in dem Verfahren 12 C 799/99 in einer mündlichen Anhörung angegeben:

 

„Bei allen Mietwagenfirmen, die ich befragt habe, konnten mir Listen für den Unfallersatztarif nicht vorgelegt werden. Lediglich bei der Firma … wurde mir aus einem internen Buch gezeigt, welche Tarife verlangt werden. Bei allen anderen Firmen erhielt ich, wenn überhaupt, nur mündliche Auskunft. Ich habe zunächst immer gefragt, ob ich ein Fahrzeug anmieten könne“. Die Antwort war dann sofort „bei welcher Versicherung?“. Wenn ich hier im Raum nicht so bekannt wäre, davon bin ich überzeugt, hätte ich überhaupt keine Auskünfte bekommen. Ich habe die Marktanbieter aufgesucht, die auch der Laie normalerweise aufsuchen würde, aufgrund deren Bekanntheitsgrad. Mir wurde sogar gesagt „es tut mir leid, ich darf darüber keine Auskunft geben“.

 

Gleiche Feststellungen haben andere Sachverständige getroffen, so auch der Sachverständige in diesem Verfahren.

 

Hier von dem Geschädigten zu verlangen, er müsse den von verschiedenen Gerichten „ex Post“ gewählten Überlegungen zur Preisermittlung nachkommen, ist reine Theorie.

 

Ein klarer Schritt des Verordnungsgebers in der Preisauszeichnungsverordnung würde aber auf der einen Seite dieses Problem beseitigen, was nicht zu erwarten ist, auf der anderen Seite aber auch den ohnehin vorhandenen Verdrängungswettbewerb zu Lasten der regionalen Kleinanbieter mit den üblichen arbeitsmarktpolitischen Konsequenzen verschärfen.

 

Was den vielfach zitierten Aufsatz von Albrecht betrifft (NZV 96, 49 ff., im Gegensatz hierzu Meinig DAR 93, 289; Göhringer ZfS 2004, 437 ff.), so kann das Gericht dessen Auffassung schon deshalb nicht folgen, weil es, sieht man von den theoretischen Erwägung ab, davon

 

                                                             -6-

 

ausgeht, dass ein Mietwagenunternehmer, will er im Markt bleiben, Fahrzeuge auch für den Fall des Leerstandes bereit halten muss in einem Maße, dass er der unvorhergesehenen Nachfrage eines Geschädigten nach einem Unfall nach einem Fahrzeug in etwa gleicher Klasse (BGH NJW 82, 1518) des verunfallten Kfz nachkommen kann.

 

Wäre ihm dies nicht möglich, so dürfte er sein „good will“ im Markt schnell verspielt haben. Dass gerade diese vorgehaltenen Fahrzeuge günstiger sein sollen als die Fahrzeuge, die mit Werbung und Planung vermietet werden können, diesen Gedanken zu übernehmen, übersteigt doch den Glauben des Gerichtes an die Wahrheit der Wissenschaft, widerspricht auch jedem wirtschaftlichen Verständnis. Folgt man diesen Gedankengängen, soweit möglich dennoch, so käme man konsequenterweise auch zu dem Ergebnis, dass der Waschmaschinenverkäufer, der im Interesse der Kundenzufriedenheit eine breite Palette von Waschmaschinen vorhält, günstiger anbieten müsste als der, der bei kleinerer Angebotspalette auf Sonderangebote bei erhöhtem Umsatz setzt.

 

Grenzt man also den Beurteilungsmaßstab der „Erforderlichkeit“ zutreffenderweise dahin ein, dass der Geschädigte nach der konkreten Situation nach dem Unfall zur umgehenden Wiederherstellung des Zustandes vor dem Unfallgeschehen ein Kraftfahrzeug anmieten darf, dies ist Kern des Restitutionsgedankens, kann es nur darauf ankommen, ob ihm zwischen Unfall und Zeitpunkt der Anmietung genügend Zeit verblieben wäre, einen Sondertarif nach seiner persönlichen Vermögenssituation und dem Zeitraum bis zur Anmietung und dem vorhersehbaren Zeitraum dieser Anmietung selbst, einen dieser Sondertarife in Anspruch zu nehmen.

 

Nicht weiter ausgeführt werden muss das Problem der Verlässlichkeit und der Prognose der Durchführung der Reparatur nach Zeitdauer. Hier müsste seitens des Schädigers schon substantiert vorgetragen werden, inwieweit derartige Unabwägbarkeiten, die nun wirklich nicht der zitierte vernünftige und wirtschaftlich denkende Mensch bestreiten kann, mit den konkret beschriebenen „Normaltarifen“ regelmäßig in Einklang zu bringen sind. Hier fehlt, wie auch in allen anderen Verfahren, regelmäßig jeder Vortrag.

 

 

Zinsen:  § 288 BGB.

Kosten: § 91 Abs. 1 ZPO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit:  § 709 ZPO.

 

 

              Klatt

Richter am Amtsgericht

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