Urteilstenor Gericht und Aktenzeichen
130Mill. Euro gegen Industrieversicherer durch das Bundeskartellamt verhängt Bundeskartellamt
v. 23.03.2005

Bundeskartellamt verhängt 130 Mio. Euro Bußgeld gegen Industrieversicherer

Das Bundeskartellamt in Bonn hat im Kartellverfahren gegen Industrieversicherer Bußgelder in Höhe von insgesamt rund 130 Mio. Euro gegen zehn Versicherungsunternehmen sowie betroffene Vorstandsmitglieder dieser Unternehmen verhängt. Mit weiteren Bußgeldbescheiden gegen andere Versicherer ist im Sommer dieses Jahres zu rechnen. Der Kartellrechtsverstoß betraf bundesweit und branchenübergreifend vor allem den Bereich der industriellen Sachversicherung (Feuer-, Feuer-Betriebsunterbrechungs-, EC- und All-Risk-Versicherung sowie Technische Versicherung), ferner die Transport- und die Gebäude-/ Monopol-Versicherung. Nach den Feststellungen des Bundeskartellamtes haben sich die betreffenden Versicherer seit Mitte 1999 abgesprochen, den zum damaligen Zeitpunkt bestehenden intensiven Prämien- und Bedingungswettbewerb zu beenden, um eine Marktwende herbeizuführen. Folgenden zehn Unternehmen wurden Bußgeldbescheide zugestellt:

  • Allianz Versicherungs-Aktiengesellschaft

  • AXA Versicherung AG

  • Gerling-Konzern Allgemeine Versicherungs-Aktiengesellschaft

  • HDI Haftpflichtverband der Deutschen Industrie Versicherungsverein
    auf Gegenseitigkeit

  • Aachener und Münchener Versicherung

  • Gothaer Allgemeine Versicherung AG

  • Mannheimer Versicherung Aktiengesellschaft

  • R + V Allgemeine Versicherung AG

  • Victoria Versicherung AG

  • Württembergische Versicherung AG

Die Grundlage für das Kartell, das teilweise sogar noch nach der Durchsuchungsaktion des Bundeskartellamtes im Juli 2002 praktiziert wurde, bildeten vornehmlich Vereinbarungen zwischen den dem Fachausschuss Industrielle Sachversicherung (FIS) im Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) angehörenden Vorstandsmitgliedern. Im Rahmen sogenannter „FIS-Grundsätze“ vereinbarten die Betroffenen u.a., während der Vertragslaufzeit keine Beitragssenkungen durchzuführen, keine rückwirkenden Beitragsanpassungen vorzunehmen, neue Verträge nur mit Ausstiegs- und Anpassungsklauseln abzuschließen und sich in „Wettbewerbsfällen“ verstärkt miteinander auszutauschen. Ergänzt wurden diese Grundsätze um weitere Absprachen zu Prämien- und / oder Selbstbeteiligungserhöhungen sowie zur Angleichung von Vertragsbedingungen.

Die am Kartell beteiligten Industrieversicherer vereinbarten darüber hinaus, „Sanierungsmaßnahmen“ der Wettbewerber „gegenseitig nicht zu stören“ bzw. die verlangte „Sanierungsprämie“ „nicht zu unterlaufen“ und sich regelmäßig über Sanierungsaktivitäten auszutauschen. Durch Vorversicherungsanfragen und den Verzicht auf Konkurrenzangebote sollte grundsätzlich kein Neugeschäft bei bestehenden Risiken gezeichnet werden.

Wichtige Plattformen und Handlungsebenen zur Umsetzung der Kartellvereinbarung bildeten auf Direktoren- und Abteilungsleiterebene die regional tätigen Arbeits- und Gesprächskreise bzw. „Stammtische“ von Vertretern jeweils unterschiedlicher Wettbewerbsunternehmen. Ziel dieser Treffen war es, umfangreiche Informationen zu unternehmensindividuellen Sanierungskriterien und Ertragsverbesserungsmaßnahmen auszutauschen, vertrauensbildende Maßnahmen zu fördern und sich fortlaufend die Verlässlichkeit im Marktverhalten sowie gegenseitigen Wettbewerbsverzicht zu bekunden. Versicherer, die im Einzelfall einem Versicherungsnehmer ein günstigeres Angebot unterbreiteten, wurden als „Sanierungsstörer“ zur Rede gestellt, um so Marktgeschlossenheit zu erreichen. Auch durch die Kündigung von Anteilen an Mitversicherungsverträgen wurde Druck für ein „marktkonformes“ Verhalten auf Wettbewerber ausgeübt. Dazu wurde im Einzelfall auch Versicherungsmaklern, die den Versicherungswechsel eines Kunden vermarkteten, das Mandat entzogen.

Die Bemessung der Geldbußen erfolgte auf Basis der durch die Kartellabsprachen im betroffenen Zeitraum erlangten Mehrerlöse, d.h. derjenigen Einnahmen der Betroffenen, die nur aufgrund des Wettbewerbsverstoßes erzielt werden konnten. In Abhängigkeit von der Rolle, die die einzelnen Unternehmen im Rahmen der Absprachen gespielt haben, hat das Bundeskartellamt den jeweiligen Mehrerlös mit dem Faktor 2 bzw. 1,5 multipliziert. Versicherungstechnische Besonderheiten wurden bei der Mehrerlösberechnung berücksichtigt.

Kartellamtspräsident Böge: „Nach den Ermittlungen des Amtes haben Vorstandsmitglieder der bebußten Unternehmen bewusst gegen das Kartellverbot verstoßen, um den intensiven Wettbewerb zwischen den Industrieversicherern zu beenden. Dabei ging es nicht um die klassische Absprache über Preise oder Gebiete. Einheitliche Preise wären angesichts der Komplexität der Verträge und der individuellen Risiken der Industriekunden vermutlich gar nicht durchsetzbar gewesen. Im vorliegenden Fall wurde der Wettbewerb vielmehr unmittelbar ausgeschaltet, indem die Kartellanten einvernehmlich auf Konkurrenzangebote verzichteten, um eine „Sanierung“ – sprich Prämienerhöhungen und Bedingungsangleichungen – in ihrer Branche durchzusetzen. Ein wichtiges Instrument dabei war die sogenannte Vorversicherungsanfrage, mit der zur „Sanierung“ anstehende Verträge einschließlich der Prämie in Erfahrung gebracht wurden. Im Ergebnis konnte damit jeder Versicherer gegenüber seinen Kunden in hohem Maße Prämienerhöhungen bzw. Bedingungsangleichungen durchsetzen, ohne Reaktionen der Wettbewerber fürchten zu müssen. Die Absprachen führten so zu einem nahezu vollständigen Ausschluss von Wettbewerb in der industriellen Sachversicherung oder - wie von den Industrieversicherern selbst zum Ausdruck gebracht - zu einer „harten Sanierungsfront“ bzw. einem „harten Markt“. Unmittelbar von dem Kartell betroffen waren die Industriekunden der Versicherer, mittelbar jedoch auch jeder Verbraucher, an den die gestiegenen Versicherungspreise weitergegeben wurden.“

Zur Vorgeschichte: Das Bundeskartellamt hatte aufgrund von Beschwerden von Versicherungsnehmern im Juli 2002 die Geschäftsräume von 13 Unternehmen durchsucht und umfangreiches Beweismaterial sichergestellt. Für die Stellungnahmen zu den im Juli 2003, im Mai 2004 und im Herbst 2004 versandten Beschuldigungsschreiben musste das Bundeskartellamt wegen des rechtlichen Gehörs den betroffenen Versicherern auf deren Antrag zum Teil mehrmonatige Fristverlängerungen einräumen, wodurch sich der Abschluss der Verfahren entsprechend verzögerte.

Die Betroffenen haben nun die Möglichkeit, innerhalb von zwei Wochen nach Eingang der Bußgeldbescheide Einspruch einzulegen. Über diese Einsprüche hat dann im gegebenen Fall das OLG Düsseldorf zu entscheiden.

Pressemeldung des Bundeskartellamtes vom 23.03.2005

Nachtrag: Die Betroffenen Unternehmen haben Einspruch gegen die Bußgeldbescheide eingelegt. Ein Ergebnis hierüber liegt allerdings noch nicht vor.

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